Seit Jahren ist das Arbeitskräfteangebot im Saarland rückläufig – und es wird weiter deutlich abnehmen. Im Jahr 2040 werden dem Saar-Arbeitsmarkt 87.000 Menschen weniger zur Verfügung stehen als noch im Jahr 2021; ein Rückgang um 14,6 Prozent. Angesichts dieses sinkenden Erwerbspersonen-Potenzials wird sich der bereits heute bestehende Arbeits- und Fachkräftemangel nochmals deutlich zuspitzen.

Ursächlich dafür ist der demografische Wandel: Ab 2025 scheiden die geburtenstarken Jahrgänge („Babyboomer“) aus dem Arbeitsmarkt aus, gleichzeitig rücken zu wenig junge Menschen nach. Verstärkt wird diese Entwicklung durch die fortgesetzte Abwanderung junger Menschen in andere Bundesländer. Und schließlich ist die Zahl der Arbeitskräfte, die aus dem Bundesgebiet ins Saarland ziehen, viel zu gering. Trotz derzeit hoher Zuwanderung aus dem Ausland sinkt der Anteil der Erwerbstätigen an der Gesamtbevölkerung. Verstärkt wird diese Entwicklung durch Fehlanreize auf dem Gebiet der Arbeits- und Sozialpolitik sowie durch eine überbordende Bürokratie. Sie bindet Personal in den Unternehmen unproduktiv und verhindert, dass Menschen, die aus Erwerbsgründen eingewandert sind oder dies vorhaben, zügig eine Erwerbstätigkeit aufnehmen können.

Die Folge: Die Unternehmen leiden immer stärker unter Personalengpässen – und dies über alle Größenklassen, Branchen und Funktionsebenen hinweg. Jedes zweite Unternehmen klagt inzwischen darüber, dass die Personalknappheit die Geschäftstätigkeit sehr stark beeinträchtigt. Aus dem Fachkräftemangel ist ein allgemeiner Arbeitskräftemangel geworden – mit entsprechend negativen Folgen für Umsätze, Wachstum und Innovationsfähigkeit. Dieser Mangel gefährdet die Zukunftschancen unseres Wirtschaftsstandortes. Deswegen ist es höchste Zeit für entschlossenes Handeln.

Um die angespannte Situation zu entschärfen und zugleich die Voraussetzungen zu schaffen, dass die Wirtschaft auch die ökologische und digitale Transformation erfolgreich gestalten kann, bedarf es rasch größerer Anstrengungen auf allen Ebenen. Arbeits- und Fachkräftesicherung ist zwar in erster Linie Aufgabe der Unternehmen. Damit diese dabei aber erfolgreich sein können, braucht es die richtigen Rahmenbedingungen.

Vor diesem Hintergrund appelliert die Vollversammlung der Industrie- und Handelskammer des Saarlandes die Landes- und an Bundesregierung, die folgenden Leitlinien wirtschaftspolitischen Handelns zu berücksichtigen.

I. Appelle an das Land

1.        Die Sicherung des Arbeits- und Fachkräftebedarfs muss in der saarländischen Wirtschaftspolitik einen prioritären Stellenwert einnehmen. Seitens der mittelständischen Wirtschaft besteht deshalb die klare Erwartungshaltung, dass dies in der Zukunftsstrategie des Landes deutlich wird.

2.        Erforderlich ist eine Gesamtstrategie, die darauf abzielt
– das endogene Erwerbspersonenpotenzial weiter auszuschöpfen,
– junge Menschen im Saarland zu halten,
– abgewanderte Saarländerinnen und Saarländer zur Rückkehr zu bewegen und
– mehr qualifizierte Zuwanderung zu generieren.

3.        Folgende Handlungsfelder sollte die Landesregierung verstärkt in den Fokus rücken:

Das endogene Potenzial spezifischer Zielgruppen (Frauen, Ältere, Arbeits- und Bildungsmigranten, Geflüchtete) stärker als bisher in den Blick nehmen: Ziel sollte es sein, dass die Erwerbsquoten dieser Zielgruppen bis Ende 2025 mindestens das Niveau anderer Bundesländer erreichen. Allein im Bereich der Frauenerwerbstätigkeit und der Älteren-Erwerbstätigkeit würden der Saarwirtschaft dadurch jeweils rund 6.000 Arbeitskräfte mehr zur Verfügung stehen – mit entsprechend positiven Effekten für die Steuer- und Kaufkraft im Land und in den Kommunen. Doch dafür sind verstärkte Anstrengungen auf allen Ebenen nötig.

Parallel zur Erhöhung der Erwerbsquoten muss das Arbeitsvolumen durch Aufstockung von Teilzeit in vollzeitnahe Teilzeit oder Vollzeit gesteigert werden. Grundlage hierfür ist, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter verbessert wird – etwa durch den Ausbau der Betreuungsangebote in staatlicher, kirchlicher und privater Trägerschaft, größere Flexibilität bei den Betreuungszeiten, mehr gebundene Ganztagsschulen, leistungsfähige Einrichtungen und Dienste zur Betreuung pflegebedürftiger älterer Menschen und vieles mehr. Trotz aller Fortschritte muss auch die Arbeitswelt selbst noch familienfreundlicher werden.

Abwanderung stoppen: Junge Talente im Land zu halten, zahlt sich langfristig aus. Dank der hohen Ausbildungsbereitschaft der Unternehmen, ihrem großen Engagement, auch Studienabbrecher für eine duale Ausbildung oder eine Tätigkeit im Unternehmen zu gewinnen, sowie vielfältiger Aufstiegs- und Karriereperspektiven für junge Menschen im Saarland leistet die Saarwirtschaft hierfür einen wertvollen Beitrag. Doch dies allein reicht nicht, um die Fachkräfte von morgen dauerhaft zu binden. Letztlich bleibt auch die Landespolitik weiterhin gefordert. Sie muss insbesondere die Attraktivität und Bindekraft des Saarlandes durch mehr Investitionen in den Standort erhöhen und die Saarhochschulen, insbesondere deren MINT-Studiengänge, durch auskömmliche Finanzierung stärken.

Abgewanderte zur Rückkehr bewegen: Zugleich braucht es frische Ideen, eine langfristige Strategie und mehr Umsetzungsstärke, um Nachwuchskräfte aus anderen Bundesländern für den Lebens- und Arbeitsstandort Saarland zu begeistern. Die Einrichtung der Agentur Saarland Attractive kann hierbei nur ein erster Baustein sein. Mindestens ebenso wichtig ist, das Saarland-Marketing rasch noch zielgerichteter im Wettbewerb der Regionen um Arbeitskräfte zu positionieren.

Qualifizierte Zuwanderung forcieren und Hindernisse für erfolgreiche
Erwerbseinwanderung beseitigen: Da das endogene Potenzial bei weitem nicht ausreichend ist, sollte die Landesregierung rasch und entschlossen mit einer ganzheitlichen Anwerbestrategie des Landes mehr qualifizierte Zuwanderung generieren. Dies ist umso wichtiger, weil das Saarland im unmittelbaren Wettbewerb mit anderen Regionen in Deutschland steht, die – vor dem Hintergrund des erleichterten Rechtsrahmens des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes – intensiv um Arbeitskräfte werben. Die Landesregierung muss daher mit einer landeseigenen Strategie Zielmärkte für eine Kampagne definieren und deutlich machen, warum es sich für diese Menschen lohnt, ins Saarland zu kommen und hier zu bleiben.

Parallel dazu ist es unerlässlich, dass die von der Bundesregierung geschaffenen Erleichterungen für die Zuwanderung von ausländischen Fachkräften auf Landesebene institutionell flankiert werden, insbesondere durch schlanke, einfache und zügige Abläufe, klare Zuständigkeiten sowie mehr Serviceorientierung und eine gelebte Willkommenskultur in der Ausländerbehörde inkl. einer zu errichtenden Außenstelle als one-stop-shop auf dem Campus der Universität des Saarlandes.

Unterstützungsleistungen aus Landesmitteln: Und schließlich sollte die Landesregierung die Voraussetzungen dafür schaffen, dass mit Landesmitteln berufsbegleitende Unterstützungsleistungen ausgebaut werden können (Förderungen der allgemeinen und fachbezogenen Sprachkompetenz, Anpassungsqualifizierung, Mentoren-Programme, Dual-Career, Relocation-Service) sowie das Marketing für die europäische Schule fokussiert wird.
Die IHK appelliert nachdrücklich an die Landesregierung, die Umsetzung der oben aufgeführten Verbesserungen unverzüglich in Angriff zu nehmen.

II. Appelle an die Bundesregierung

1.        Arbeitsmarktpolitische Fehlanreize beseitigen: Erforderlich ist ein allgemeiner gesellschaftlicher Grundkonsens, dass das Arbeitsvolumen angesichts stockender Produktivitätszuwächse insgesamt steigen muss. Andernfalls wird es nicht gelingen, das Wohlstandsniveau zu halten. Staatliche Transferleistungen wie Bürgergeld oder Wohngeld müssen so ausgestaltet werden, dass der Anreize besteht, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Dies mutig und ehrlich zu kommunizieren, ist die zentrale Aufgabe von Politik und Gewerkschaften.

2.        Steuerpolitische Fehlanreize beseitigen: Die Besteuerung von Überstunden und Überstundenzuschlägen verringert oftmals die Anreize für die Beschäftigten, temporär Mehrarbeit zu leisten. Doch angesichts des verbreiteten Personalmangels können viele Unternehmen auf die Bereitschaft ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, mit Überstunden Auftragsspitzen abzuarbeiten, nicht verzichten. Die Bundesregierung sollte daher spätestens bis zum 1. Juli 2024 die Höhe der in § 68 Einkommensteuergesetz geregelten Freibeträge, die für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit und mit diesen Arbeiten zusammenhängenden Überstundenzuschlägen gelten, von derzeit 360 Euro auf 1.000 Euro monatlich anheben und auch für sämtliche anderweitig geleisteten Überstunden einen Freibetrag in dieser Höhe festsetzen.

3.        Bürokratielast der Unternehmen abbauen: Insbesondere KMU leiden unter umfassenden bürokratischen und regulatorischen Lasten, die im hohen Maße Personal „unproduktiv“ binden und somit die betriebliche Produktivität erheblich schmälern. Die Bundespolitik ist daher aufgefordert, die lähmende Bürokratielast der Unternehmen zu senken, um mehr Freiräume zu schaffen.

4.        Schlanke und unbürokratische Visaverfahren: Der erleichterte Rechtsrahmen des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes muss durch schlanke und unbürokratische Visaverfahren ergänzt werden. Die Bundesregierung bleibt daher aufgefordert, die Visastellen in den deutschen Botschaften und Konsulaten dem Aufwand entsprechend zu personalisieren.

Die IHK appelliert nachdrücklich an die Bundesregierung, die Umsetzung der oben aufgeführten Verbesserungen unverzüglich in Angriff zu nehmen.

III. Commitment und Appell an die Saarwirtschaft

Zugleich erkennt die IHK-Vollversammlung an, dass in allererster Linie die Unternehmen selbst dafür Sorge tragen müssen, Personal in ausreicher Menge und mit den erforderlichen Kompetenzen zur Verfügung zu haben.

Die IHK-Vollversammlung richtet deshalb nicht nur Appelle an das Land und den Bund, für bessere Rahmenbedingungen zu sorgen, sondern die VV-Mitglieder gehen selbst voran und sichern durch ihre Vorbildfunktion die Arbeits- und Fachkräftebasis von morgen: Mit niederschwelligem Recruiting, einer hohen Ausbildungsbereitschaft, zukunftsgerichteter Qualifizierung, zahlreichen Projekten zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Unterstützung junger Menschen schon in den Schulen bei der Berufsorientierung, altersgerechten Arbeitsplätzen, vielfältigen Maßnahmen zur Gesundheitsförderung, einer wertebasierten Unternehmens- und Führungskultur und vielem mehr.

Schließlich appelliert die IHK-Vollversammlung an die Saarwirtschaft, den zahlreichen guten Beispielen in der saarländischen Unternehmenslandschaft für das Gewinnen und Halten von Arbeits- und Fachkräften zu folgen. Dennnur mit einer gemeinsamen Kraftanstrengung aller Unternehmen am Standort Saarland und im engen Schulterschluss von Wirtschaft, Gewerkschaften, Politik und Gesellschaft wird es gelingen, den Personalmangel zu verringern.

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