Nach dem viel diskutierten Stechuhr-Urteil des EuGH im Jahr 2019 entschied nun das Bundesarbeitsgericht überraschend, dass Unternehmen in Deutschland ab sofort verpflichtet sind, ein System einzuführen, mit dem die Arbeitszeit der Arbeitnehmer erfasst werden kann. Welche konkreten Auswirkungen hat dieses BAG-Urteil für Dienstleister wie Agenturen, Consultants oder IT-Firmen? Und sind flexible New Work Konzepte mit Homeoffice, Mobile Work und Vertrauensarbeitszeit weiterhin möglich?

Was will die neue Zeiterfassungspflicht erreichen?

Bislang mussten deutsche Unternehmen nur Überstunden, Mehrarbeit sowie Sonn- und Feiertagsarbeit erfassen. Bereits 2019 hatte der Europäische Gerichtshof die Mitgliedsstaaten in die Pflicht genommen, ein System zur Arbeitszeiterfassung einzuführen, das sämtliche Arbeitsstunden und Pausenzeiten dokumentiert. Ziel ist es, Arbeitnehmer besser zu schützen, ausufernde Arbeitszeiten einzudämmen und Ruhezeiten einzuhalten.

Noch während die Bundesregierung mit der Umsetzung der EU-Richtlinie in nationales Recht beschäftigt war, schuf das Bundesarbeitsgericht im September 2022 Fakten. Die Arbeitszeiterfassung gilt nun in Deutschland verpflichtend und zwar ohne Übergangsfrist.

Was ändert sich für Agenturen, Consultants & IT-Firmen?

Viele Detailfragen sind noch offen: Sind handschriftliche Aufzeichnungen oder Excel-Tabellen erlaubt? Reicht es aus, die Gesamtdauer der Arbeitszeit pro Tag festzuhalten oder müssen Anfang, Ende und sämtliche Unterbrechungen dokumentiert werden? Wie lässt sich das Modell der Vertrauensarbeitszeit mit einer Zeiterfassungspflicht unter einen Hut bringen? Dürfen Arbeitgeber die Aufgabe an ihre Mitarbeitenden delegieren? Und welche Kontrollpflichten hat der Arbeitgeber?

Die konkreten Anforderungen sind aktuell noch unklar – mit einer ausführlichen Urteilsbegründung des BAG wird frühestens im November 2022 gerechnet. Anschließend wird Bundesarbeitsminister Hubertus Heil das Gespräch mit Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden suchen und Vorschläge zur Präzisierung des deutschen Rechts machen. Er kündigte bereits an, "vernünftige Lösungen zu finden, die in der betrieblichen Wirklichkeit handhabbar sind". Laut EuGH-Urteil muss das System auf jeden Fall „zugänglich, nachvollziehbar und fälschungssicher" sein.

Viele projektbasiert arbeitende Dienstleister erfassen bereits die Zeiten ihrer Mitarbeitenden, allerdings meist beschränkt auf die sogenannten „Billables", also fakturierbare Leistungen auf Projekten. Das reicht in Zukunft nicht mehr aus, sondern es müssen sämtliche Arbeitsstunden und Pausen dokumentiert werden. Die gute Nachricht: Die meisten von Agenturen, Consultants und IT-Firmen genutzten Projektmanagement-Softwarelösungen sind fit für die neuen gesetzlichen Anforderungen. Wenn ihr bereits eine moderne Software nutzt, ändert sich technisch gar nicht so viel für euch. Ihr könnt mit überschaubarem Aufwand Aufwand die Erfassung von Projektzeiten auf eine vollständige Arbeitszeiterfassung umstellen, selbstverständlich DSGVO- und GOBD-konform und auch per App.

Und was ist mit New Work?

Die Arbeitskultur in Agenturen, der IT-Branche und Unternehmensberatungen war schon immer besonders. Nine-to-Five-Jobs sind eher selten – einer der Gründe, die in den letzten Jahren zu einem massiven Fachkräftemangel geführt haben. Neue Arbeitszeitmodelle bieten die Chance, die Bedürfnisse der Generation Z nach einer besseren Work-Life-Balance mit den Anforderungen des dynamischen Projektalltags zu verbinden und so dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.

Nach Ansicht von Arbeitsrechtsexperten schränkt die neue Zeiterfassungspflicht flexible Arbeitsmodelle nicht ein. Wenn es Arbeitnehmern erlaubt bleibt, ihre Arbeitszeiten selbst aufzuzeichnen, kann dies auch zuhause oder unterwegs erfolgen. Das neue Gesetz soll die beliebte freiere Zeiteinteilung nicht behindern, sondern im Gegenteil dabei unterstützen, mehr Transparenz über die tatsächlich geleistete Arbeitszeit zu schaffen – für die Mitarbeitenden selbst und für die Arbeitgeber. Auch im Koalitionsvertrag hatte sich die Ampel-Koalition im Hinblick auf das EuGH-Urteil bereits darauf festgelegt, dass "flexible Arbeitszeitmodelle (z. B. Vertrauensarbeitszeit) trotz des Urteils weiterhin möglich sein müssen."

Fazit und Handlungsbedarf

Auch wenn die Zeiterfassungspflicht auf den ersten Blick nicht nach Entbürokratisierung klingt, geht es nicht um Überwachung, sondern das Ziel ist der Schutz der Mitarbeitenden. Die neue Regelung macht Überstunden transparent und trägt so zu einem achtsameren Umgang mit der Ressource Mensch und einer gesunden Work-Life-Balance bei – gerade auch in hybriden New-Work-Modellen, in denen die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen.

Grundsätzlich gilt die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung ab sofort. Bei Verstößen können Arbeitsschutzbehörden Anordnungen erlassen und bei deren Nichtbefolgung ein Bußgeld verhängen. Es macht also Sinn, sich frühzeitig Gedanken zu machen, welches Zeiterfassungssystem ihr künftig einsetzen möchtet.

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