Die von der Ampel-Koalition geplante Steigerung des Mindestlohns und die Einführung einer Kindergrundsicherung wirken sich vor allem für Geringverdiener finanziell positiv aus. Beide Maßnahmen führen zu Einkommenszuwächsen bei bis zu zehn Millionen Deutschen, wie das ZEW Mannheim für die Süddeutsche Zeitung berechnet hat. Die Berechnungen basieren auf dem ökonomischen Modell ZEW-EviSTA sowie den Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP). „Haushalte mit Einkommen unter 20.000 Euro profitieren am stärksten von der Politik der Ampelkoalition“, sagt Prof.  Dr.  Sebastian Siegloch, Leiter der ZEW-Forschungsbereichs „Soziale Sicherung“. Die Erhöhung des Mindestlohns von aktuell 9,60 auf 12 Euro pro Stunde würde für diese Einkommensgruppe rund 700 Euro zusätzlich einbringen – eine Steigerung von fünf bis sechs Prozent. Neben dem Mindestlohn sorgt die Kindergrundsicherung für ein deutliches Einkommensplus – und das nicht nur bei Geringverdienern. Familien mit Einkünften zwischen 30.000 und 80.000 Euro können 1.000 bis 1.300 Euro durch das neue Förderinstrument erwarten, wenn sich die grüne Fachministerin mit dem Modell ihrer Partei durchsetzt. Demnach soll die Kindergrundsicherung die bisher separaten Leistungen Kindergeld, Sozialgeld und Kinderzuschlag bündeln. Der angedachte Basisbetrag, den alle Familien unabhängig vom Einkommen erhalten würden, soll dabei das jetzige Kindergeld übersteigen.

Ersatzloses Streichen des Solidaritätszuschlags würde Gutverdiener überstark entlasten

„Die ungleiche Einkommensverteilung wird durch die Mindestlohnerhöhung und die neuer Kindergrundsicherung reduziert“, erklärt ZEW-Ökonom Siegloch. Unterstellt man, dass das grüne Modell der Kindergrundsicherung eingeführt wird, sinke das entsprechende Maß, der Gini-Koeffizient, um rund vier Prozent. „Für die verteilungspolitische Bilanz der Ampel wird es jedoch darauf ankommen, wie die Koalition auf eine mögliche Streichung des Solidaritätszuschlags reagiert.“ Das Bundesverfassungsgericht hatte eine Reform der Zusatzsteuer, die noch auf die höchsten zehn Prozent der Einkommen erhoben wird, bereits angemahnt. Im Jahr 2022 will das Gericht entscheiden, ob der Zuschlag auch für Topverdiener wegfallen muss. „Fällt der Soli ersatzlos weg, würden sehr hohe Einkommen stärker entlastet als die Mittelschicht. Das wäre aus verteilungspolitischer Sicht nicht sinnvoll“, erklärt Siegloch. Haushalte mit über 250.000 Euro jährlichem Einkommen erhielten mit 3,2 Prozent einen ähnlichen Zuwachs wie Einkommen zwischen 20.001 und 55.000 Euro. Für die breite Mittelschicht mit Einkünften von 55.001 bis 80.000 Euro fiele der relative Einkommenszuwachs jedoch geringer aus. „Anstatt die oberen zehn Prozent überstark zu entlasten, ließe sich der bisherige Solidaritätszuschlag in die Einkommensteuer integrieren, ohne Verteilung oder Steueraufkommen anzutasten“, sagt Siegloch.

Grüne Kindergrundsicherung und Soli vergrößern die Distanz zur schwarzen Null

Wie sich die Sozialpolitik der Ampel auf den Staatshaushalt auswirkt, ist den ZEW-Berechnungen zufolge vorwiegend von der Ausgestaltung einer Kindergrundsicherung und dem ersatzlosen Streichen des Solidaritätszuschlags abhängig.  „Wir haben für unserer Analyse drei im Wahlkampf diskutierte Kindergrundsicherungsmodelle simuliert, denen die geplante Ampel-Arbeitsgruppe folgen könnte“, erklärt ZEW-Ökonom Prof.  Dr.  Holger Stichnoth, der an der Studie mitwirkte. Berücksichtigt werden dabei Veränderungen bei der Einkommensteuer, dem Aufkommen der Sozialversicherungsbeiträge und den Ausgaben für Kindergeld sowie weitere staatliche Sozialtransfers: Die Kindergrundsicherung von Bündnis 90/Die Grünen, der Vorschlag des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), für den die SPD im Wahlkampf Sympathien geäußert hatte und das Kinderchancengeld der FDP, sind Bestandteil dieser Analyse. Die grüne Kindergrundsicherung einzuführen würde die Ampel-Regierung 9,6 Mrd. Euro kosten, so die Berechnung des ZEW Mannheim. Die DGB-Kindergrundsicherung brächte dem Staat hingegen Mehreinnahmen von 1,5 Mrd. Euro, das FDP-Kinderchancengeld sogar 7,1 Mrd. Euro. „Der Überschuss resultiert vor allem aus zusätzlichen Einnahmen durch Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag. Außerdem steigt das Beitragsvolumen der Sozialversicherung, wenn die Regierung den Mindestlohn auf zwölf Euro erhöht“, erklärt Dr.  Florian Buhlmann, Co-Autor der Studie. Ein ersatzloses Streichen des Solidaritätszuschlags würde zu Mindereinnahmen von acht Mrd. Euro für den Bund führen. Gemeinsam mit der Kindergrundsicherung vergrößerte dies den Fehlbetrag im Staatshaushalt um 0,6 Mrd. Euro (FDP-Modell) bis 17,6 Mrd. Euro (Modell der Grünen).

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