Das Baby auf dem Schoß, ein klingelndes Telefon und die Chefin im Videocall: Berufliches und Privates zu trennen, ist daheim manchmal schwierig. Das Homeoffice bietet viele Freiheiten, kann aber auch Stress verursachen – wenn klare Regeln fehlen. Mit der Auflösung zeitlicher, räumlicher und organisatorischer Grenzen beschäftigt sich Prof. Dr. Regina Kempen. Die Wirtschaftspsychologin lehrt seit dem Sommersemester 2021 an der Hochschule Aalen und forscht zum Thema „Boundary Management“ – wie Arbeitnehmer:innen bei einer optimalen Gestaltung der Grenzen von Lebensbereichen unterstützt werden können. Ihre Forschungsaktivitäten werden jetzt durch das Programm EXPLOR der Abtsgmünder Stiftung Kessler + Co. für Bildung und Kultur gefördert.

Seit ziemlich genau anderthalb Jahren ist das Arbeiten von Zuhause für viele zur neuen Realität geworden. Mussten früher oftmals die Vorgesetzen mühsam davon überzeugt werden, dass man auch gut von daheim arbeiten kann, änderte sich dies mit der Corona-Pandemie. Unterstützt durch schnelles Internet, Smartphones und Video-Konferenzen, verlief der Übergang ins Homeoffice für die meisten reibungslos. „Doch durch diese Technologien verschwimmen auch die Grenzen zwischen den Lebensbereichen von Beschäftigten zunehmend. Gearbeitet wird in privaten Räumen, zu ungewöhnlichen Zeiten, Störungen und Unterbrechungen sind an der Tagesordnung“, konstatiert Prof. Dr. Regina Kempen. Und mit einem Schmunzeln fügt sie hinzu: „Auch ich hatte schon einmal kurz meine jüngste Tochter auf dem Schoß sitzen, während ich eine Vorlesung gehalten habe. Aber meine Studierenden sind gut damit klargekommen.“

Zum Sommersemester 2021 hat Kempen die Professur für Arbeits-, Organisations- und Personalpsychologie an der Hochschule Aalen übernommen. Eine einzigartige Möglichkeit, wie die 36-Jährige findet: „Das Angebot, nach Aalen zu kommen, ist extrem spannend gewesen. Es ist toll, dass ich den Studiengang Wirtschaftspsychologie weiter mit aufbauen und somit auch eigene Akzente setzen kann.“ Die gebürtige Aachenerin studierte Psychologie in Freiburg und promovierte anschließend an der Universität Osnabrück – übrigens mit „summa cum laude“. Auch für ihre Diplomarbeit erhielt Kempen eine Auszeichnung. Außerdem war sie Stipendiatin des Cusanuswerks, dem Begabtenförderungswerk der katholischen Kirche.  Fasziniert hat Kempen an ihrem Studienfach vor allem die Schnittmenge zwischen den klassischen Naturwissenschaften und den Geisteswissenschaften sowie die psychologische Perspektive auf interkulturelle Fragestellungen.

Ihr großes Interesse für andere Kulturen zieht sich durch ihren ganzen Lebenslauf: Zu und nach ihrer Schulzeit war Kempen jeweils ein Jahr in Bolivien und Paraguay; während ihres Studiums verbrachte sie ein Semester in Bukarest und erlebte hautnah die Aufbruchstimmung in Rumänien – das Land war damals gerade dabei, der EU beizutreten. „Das war eine ganz besondere Zeit, die mich sehr geprägt hat“, erinnert sich die Professorin. Forschungsaufenthalte führten sie in die USA und nach Togo in Westafrika. „Warum verhalten sich Menschen so und nicht anders? Und wie gelingt es, dass Menschen ihr Potenzial entfalten können? Diese Fragestellungen sind einfach spannend“, findet Kempen, die bereits während ihres Studiums als interkulturelle Trainerin gearbeitet hat und später eine Unternehmensberatung mitgegründet hat, die auf Mitarbeiterbefragungen und organisationales Feedback spezialisiert ist. „Da habe ich eine Menge über Arbeits- und Organisationspsychologie in der Praxis gelernt“. Dass sie in diese Richtung gehen will, war ihr bereits während des Studiums klar. „Die Auseinandersetzung, wie wir unsere Arbeit in Zukunft gestalten wollen, ist wichtiger und aktueller denn je“, betont Kempen und fordert: „Wir brauchen einen Kulturwandel in vielen Unternehmen.“

Ihre Forschung zum Boundary Management, die sie nun an der Hochschule Aalen mithilfe des EXPLOR-Förderprogramms der Abtsgmünder Stiftung Kessler + Co. für Bildung und Kultur vorantreibt, adressiert eine Thematik von hoher Tagesaktualität und gesellschaftlicher Relevanz. Nicht erst pandemiebedingt ist die Arbeit im Homeoffice dadurch geprägt, dass die Grenzen zwischen den verschiedenen Lebensbereichen verschwimmen. Studien belegen bereits, dass sich die aktive und individuelle Gestaltung dieser Grenzen durch die Arbeitnehmer:innen positiv auf Zufriedenheit, Engagement und Gesundheit auswirkt. Forschungsbedarf besteht jedoch hinsichtlich der Vorbedingungen, die zur Grenzgestaltung im Spannungsfeld zwischen individuellen Präferenzen, Vorgaben des/der Arbeitgeber:in und Erwartungen des privaten Umfelds wie beispielsweise der Familie beitragen. Die zentrale Fragestellung ist dabei, wie und ob der/die Arbeitgeber:in durch organisatorische Regelungen zum positiven Effekt der aktiven Grenzgestaltung beitragen kann und wie sich das Ganze auch konkret umsetzen lässt.

„Viele Unternehmen stehen derzeit vor diesen Herausforderungen. Jetzt müssen entsprechende Strukturen geschaffen werden, gemeinsam mit den Mitarbeiter:innen“, betont Kempen. Denn es gäbe nicht die „eine Lösung“ – sozusagen „one size fits all“. Man müsse die unterschiedlichen Präferenzen von Arbeitnehmenden berücksichtigen: Einige gehörten zu den „Segmentierern“, denen klare Grenzen wichtig sind. Andere wiederum sind „Integrierer“, die dazu neigen, die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben zu verwischen. Sie haben in der Regel kein Problem damit, Arbeitsaufgaben während der „Freizeit“ und private Aufgaben während der „Arbeitszeit“ zu erledigen: „Integrierer“ arbeiten oft auch außerhalb der Bürozeiten, erledigen dafür aber während der Arbeitszeit auch persönliche Angelegenheiten. „Zwischen diesen beiden Polen ist jede und jeder unterschiedlich unterwegs“, erläutert die Wissenschaftlerin, daher brauche es auch individualisierte Lösungen. „Wenn Führungskräfte und Kolleg:innen verstehen, wie jeder von zu Hause aus am besten arbeitet, können Unternehmen diese unerwartete Krise in eine Chance verwandeln. Und gleichzeitig können wir neue und bessere Arbeitsweisen für die Zukunft entwickeln“, betont Kempen.

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