Die MTM ASSOCIATION e. V., einer der führenden Industrieverbände mit gut 240 Mitgliedsunternehmen, hat einen neuen Geschäftsführer. Prof. Dr. Peter Kuhlang trat am 01.01.2021 die Nachfolge von Knuth Jasker an, der der MTM-Organisation weitere zwei Jahre in strategischen Fragen beratend zur Verfügung steht. Peter Kuhlang war bereits im Juli 2020 zum zweiten Geschäftsführer der Deutschen MTM-Gesellschaft Industrie- und Wirtschaftsberatung mbH, einer 100prozentigen Tochter der MTM ASSOCIATION e. V., ernannt worden und verantwortet nun auch dieses Geschäft allein. Im folgenden Interview spricht er über seine neue Aufgabe und die zukünftige Ausrichtung der MTM-Organisation.

Herr Prof. Kuhlang, für alle, die nicht wissen, was MTM ist, eine kurze Erklärung vorab?
MTM ist zum einen eine Organisation und zum anderen eine Methode – der Begriff hat also einen institutionellen und einen instrumentellen Aspekt. Die Organisation ist die MTM ASSOCIATION e. V., als Headquarter des internationalen Partnernetzwerks One-MTM verantwortlich für Ausbildung, Beratung, Softwareentwicklung und Forschung rund um MTM. Das Instrument MTM repräsentiert die MTM-Prozessbausteinsysteme, die auf der MTM-Normleistung basieren und zur zeitlichen und ergonomischen Bewertung von Arbeitsabläufen bzw. Prozessen verwendet werden. MTM ist eine Sprache des Industrial Engineering, die weltweit gesprochen wird und auch bei der Digitalisierung eine wichtige Rolle spielt.

Knuth Jasker hat den Staffelstab in der Geschäftsführung an Sie übergeben. Eine große Aufgabe und eine große Verantwortung – haben Sie schon einen Plan?
Natürlich. Die wichtigste Aufgabe für 2021 ist es, dass wir uns hinsichtlich unseres Geschäftsmodells stabilisieren können – schließlich wird es unter dem Corona-Aspekt wieder ein schwieriges Jahr. Dennoch bleibt der Kernauftrag der MTM ASSOCIATION bestehen: MTM als weltweiten Standard zu etablieren. Das ist es, was mich antreibt.

MTM als weltweiten Standard etablieren – was sind die To do’s?
Wir müssen schauen, dass wir die Grundsätze, die diesen Standard ausmachen, in die Köpfe bekommen – in die der Entscheider, der Berater, der Mitarbeiter und vor allem in die unserer Mitglieder und Kunden. Das ist im Wesentlichen die einheitliche Verbreitung von MTM, dass wir alle die gleiche Sprache sprechen. Wir werden dazu die Digitalisierung nutzen; da gibt es enorme Möglichkeiten. Und wir müssen das Vertrauen in MTM und in die Zuverlässigkeit von MTM nutzen, um MTM letztlich unverzichtbar zu machen bei unseren Kunden. Da gibt es schon konkrete Überlegungen, was an Strategien und Maßnahmen notwendig ist. Schwerpunkt der Arbeit wird sein, das bestehende nationale und internationale Netzwerk weiter zu professionalisieren und Partnerschaften aufzubauen.

Wird sich im Selbstverständnis der MTM-Organisation etwas verändern?
Wir verstehen uns künftig als Befähiger zur MTM-Anwendung, wir müssen nicht alles selbst machen. Wir werden Software-Hersteller befähigen, unser Produkt TiCon zu nutzen oder ihnen mit dem Zertifikat „Approved by MTM ASSOCIATION“ bescheinigen, dass sie die MTM-Prozessbausteinsysteme richtig anwenden. Wir werden in der Ausbildung Partner aufbauen, die im Sinne des MTM-Standards lehren. Wir werden auch in der Beratung diesen Weg gehen – und als Forschungspartner sowieso.

Wie kann MTM einem breiteren Anwenderkreis zugänglich gemacht werden?
Dazu ist es meines Erachtens notwendig, unsere Konzepte MTM-Prime und MTM-Easy auf der inhaltlichen Seite voranzubringen und bekannt zu machen – und zwar unter dem Aspekt, korrekte MTM-Analysen zu erstellen, jedoch ohne Detailkenntnis von MTM. Das ist ein neuer gedanklicher Ansatz. Ziel muss sein, dass diejenigen, die MTM anwenden, nur die semantischen Aspekte von MTM verstehen, d. h. welche Benefits sie durch diese Methode haben – die Syntax, also das genaue Regelwerk, müssen sie jedoch nicht mehr im Detail kennen. Den Anwendern werden wir automatisiert erstellte MTM-Analysen bzw. eine sehr einfache Form der MTM-Anwendung zur Verfügung stellen, so dass sowohl im Bereich MTM-Prime als auch im Bereich MTM-Easy die Nutzung der Ergebnisse in den Vordergrund rückt.

Die MTM ASSOCIATION ist für das Softwareprodukt MTM-Easy als Innovator 2020 ausgezeichnet worden. Für welchen Anwenderkreis wurde dieses Produkt konzipiert?
MTM-Easy ist eine geniale Idee, um einen Benchmark zu erhalten, in welcher Zeit ein Produktionsbereich bestimmte Aufgaben erledigen können soll bzw. muss – quasi ein Produktivitätsziel. Die mit MTM-Easy ermittelte Fertigungszeit ist gerade für den klein- und mittelständischen Unternehmer, also für den Anwender ohne tiefere Detailkenntnis von MTM, ein solider, fundierter, nachvollziehbarer Orientierungswert, in welche Richtung es mit seiner Produktion gehen kann bzw. gehen muss.

Was macht die Anwendung von MTM-Easy so einfach?
Einfache MTM-Anwendung heißt nur durch Antizipieren des Arbeitsablaufs, durch Anklicken von Piktogrammen, die dahinterstehenden MTM-Prozessbausteine auszuwählen und damit verlässliche, verbindliche Zeitwerte mitzuziehen. Einfache Anwendung aber auch für Berater, die mit dem Thema Industrial Engineering bzw. Zeitwirtschaft unterwegs sind. Sie haben mit MTM-Easy ein ideales Tool zur Erweiterung ihres Beratungsportfolios zur Verfügung. Korrekte MTM-Analysen ohne tiefe Detailkenntnis – dieser neue Ansatz manifestiert sich insbesondere in MTM-Easy. Die ermittelten Zeiten sind solide und zuverlässig – wie genau sie berechnet werden, darüber muss sich der Anwender nicht den Kopf zerbrechen. Dafür stehen wir mit der Verlässlichkeit von MTM.

Sie haben das internationale Partner-Netzwerk One-MTM, das am 2. Februar 2020 startete, mit aus der Taufe gehoben. Was war die Motivation, die Idee dahinter?
Wir mussten Strukturen schaffen, die uns in die Lage versetzen, in effizienter und strukturierter Weise an der weltweiten Verbreitung des MTM-Standards zu arbeiten. Es gibt eine Organisation, die in diesem Netzwerk die Verantwortung übernimmt für den inhaltlichen Weg und die Bereitstellung der Ressourcen. Und es gibt die Idee, immer mehr Partner einzubinden, die Organisation zu öffnen, so viele wie möglich an Bord zu nehmen, die mit MTM arbeiten, die MTM weiterbringen möchten, die mit MTM beraten, lehren, Software entwickeln und forschen möchten. Wir sehen ja, dass wir schon im ersten Jahr große Erfolge erzielen konnten im Sinne der Einheitlichkeit der MTM-Ausbildung gerade durch die Digitalisierung, die uns massiv vorangebracht hat.

Was haben denn die Kunden von einem internationalen Partner-Netzwerk One-MTM?
Der große Vorteil für unsere Mitgliedsunternehmen und Kunden ist, dass wir unsere Leistungen und damit den MTM-Standard weltweit einheitlich anbieten. Mit einem zentralen Ansprechpartner und der Vermittlung an das Partner-Netzwerk stellen wir sicher, dass das, was Kunden an den Produktionsstandorten bzw. in den Regionen benötigen – seien es MTM-Ausbildungen, Beratungsleistungen oder Softwarelösungen – vor Ort bzw. digital verfügbar ist.

Vor gut zehn Jahren haben Sie auf die Frage nach den Fähigkeiten des Industrial Engineers der Zukunft geantwortet: „Er muss mit einer fundierten Vorgehensweise an die Planung und Gestaltung menschlicher Arbeit herangehen.“ Wie unterstützt MTM das Industrial Engineering heute?
Das Selbstverständnis des IElers bezüglich einer fundierten Vorgehensweise bei der Planung menschlicher Arbeit ist natürlich geblieben. Das ist der MTM-Prozesssprache ja immanent. Was MTM als Sprache zur Entwicklung des Industrial Engineering in Zukunft beitragen wird, ist die Möglichkeit, Bewegungsdaten des Menschen, die in digitaler Form vorliegen – beispielsweise aus einem Motion Capturing-System, einer Mensch-Simulation, einer VR/AR-Anwendung oder aus Video-Analysen –, so zu übersetzen, dass am Ende eine objektive und nachvollziehbare Zeitinformation steht. Die Kinematik des Menschen zu tracken, genau genommen sie zeitlich zu dekodieren – daran arbeiten wir unter dem Stichwort parametrisierter Datenstrom menschlicher Arbeit, kurz MTM-pDmA.

Welche Bedeutung hat MTM für die digitale Planung in der Zukunft?
In der digitalen Planungswelt können wir ja beinahe alles simulieren – von Gebäudedaten über Konstruktions- und Produktdaten bis hin zu Druckluftanschlüssen an den Arbeitsplätzen. Aber was uns fehlt ist die objektive, digitale Interpretation von menschlichen Bewegungen aus zeitlicher und ergonomischer Sicht. Das kann nur die Sprache MTM. Und deshalb wird die Digitalisierung, zumindest die der Gestaltung bzw. Planung menschlicher Arbeit, auch nur mit MTM möglich sein.

Der Wert einer MTM-Analyse ist im Industrial Engineering unumstritten. MTM ist ein Maßstab für menschliche Leistung. Über diesen Maßstab kann man natürlich diskutieren. Aber wenn ich mit diesem Maßstab menschliche Arbeit, menschliche Leistung messe, dann ist das Ergebnis immer gleich falsch. Und diesen Aspekt nutzen wir im positiven Sinne, das heißt wir stellen über die Interpretation von Bewegungsdaten, über Mapping und durch Überführung in eine MTM-Analyse in unseren Prozessbausteinsystemen – MTM-HWD, MTM-1, MTM-UAS u. a. – eine korrekte MTM-Analyse zur Verfügung. Der Anwender hat den Nutzen, den ich schon beschrieben habe: Er muss sich nicht um die Erstellung dieser Analyse kümmern und macht dabei vielleicht Fehler, sondern es ist unser Auftrag und unsere Kompetenz korrekte MTM-Analysen zu liefern – und das tun wir.

Wie muss man sich den Prozess vorstellen?
Die Bewegungsdaten werden in digitaler Form bei MTM ankommen – wir werden sie in unserer Software TiCon interpretieren – wir werden die korrekte MTM-Analyse und damit die korrespondierende Zeit zu diesen Bewegungsdaten berechnen – diese Zeit dann dem Kundensystem zurückspielen. Damit hat der Kunde bzw. der Planer eine Grundzeit zur Verfügung, für die wir unsere Hand ins Feuer legen – approved by MTM ASSOCIATION. Das ist die Vision, die unsere Arbeit in Zukunft bestimmen wird.

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Kurzprofil ao. Univ.-Prof. Dr. Peter Kuhlang

Peter Kuhlang ist Geschäftsführer der MTM ASSOCIATION e. V. sowie der Deutschen MTM-Gesellschaft mbH. Er studierte Wirtschaftsingenieurwesen mit der Fachrichtung Maschinenbau, war als Projektingenieur und Projektleiter bei der Deutschen MTM-Gesellschaft Industrie- und Wirtschaftsberatung mbH mit Schwerpunkt Industrial Engineering, Arbeitsgestaltung, MTM-Einführung und MTM-Lehre tätig und promovierte 1999 an der Technischen Universität Wien zum Doktor der technischen Wissenschaften. Im Juni 2013 habilitierte er für das Fachgebiet „Betriebswissenschaften/Industrial Engineering“.

Der gebürtige Österreicher hatte und hat Lehraufträge an der TU Wien, der TU Dortmund, der Montanuniversität Leoben, der TU Graz und der Donau-Universität Krems inne. Darüber hinaus war er Mitglied des Führungskreises bei der Fraunhofer Austria Research GmbH, Geschäftsbereich Produktions- und Logistikmanagement.

Seit 2014 leitet Peter Kuhlang das MTM-Institut in Zeuthen. Außerdem koordiniert er die internationalen Aktivitäten der MTM ASSOCIATION e. V. im Rahmen des Partnernetzwerks One-MTM. Schwerpunkt seiner Forschungs- und Entwicklungstätigkeit ist die Ableitung von MTM-Analysen aus digitalen Bewegungsdaten mittels Künstlicher Intelligenz.

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